DER VERMEIDBARE KRIEG

Die Gefahren eines katastrophalen Konflikts zwischen den Vereinigten Staaten und Xi Jinpings China

“Ich wünschte, ich hätte dieses Buch nicht schreiben müssen. Ich bin gerade alt genug, um mich an die alljährlichen Paraden am ANZAC-Tag zu erinnern – ANZAC steht für «Australian and New Zealand Army Corps» –, die in der Kleinstadt abgehalten wurden, in der ich aufwuchs. Ich ging mit meinem Vater hin, der am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatte, und mir ist noch im Gedächtnis, wie ich Seite an Seite mit Männern in ihren 70ern marschierte, deren Schritt schon nicht mehr ganz so sicher war und die im Ersten Weltkrieg mitgekämpft hatten. Einer von ihnen, erzählte mir mein Vater, litt immer noch an einem Kriegstrauma.

Es gab keine zwangsläufige Entwicklung, die in den Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 führte. Der Krieg brach aus als Folge der schlechten Entscheidungen, die die politischen und militärischen Führungen im Juli und August 1914 trafen. Sie führten zu dem großen Blutvergießen. Jene Entscheidungen kosteten 40 Millionen Menschenleben, darunter die von 117000 Amerikanern, 60000 Australiern und von über zwei Millionen Deutschen. Die Entscheidungen, wie man mit den Verlierernationen umging, legten dann die Lunte für die nächste globale Auseinandersetzung, die so grauenvoll ausfiel, dass an deren Ende 85 Millionen Tote – drei Prozent der damaligen Weltbevölkerung – standen.

Dies führt uns zu der sich stetig verschärfenden Krise der Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten. Die 2020er Jahre sind das entscheidende Jahrzehnt für die Dynamiken der sich wandelnden Kräfteverhältnisse zwischen ihnen. Sowohl die chinesischen als auch die amerikanischen Strategen wissen das. Für Politikerinnen und Politiker in Peking wie in Washington, und auch für diejenigen in anderen Hauptstädten, werden die 2020er Jahre eine Dekade sein, in der man «gefährlich lebt». Hinter den Kulissen sind die Einsätze niemals höher, der Wettbewerb niemals schärfer gewesen, was auch immer das politische und diplomatische Personal öffentlich erklären. Sollten diese beiden Giganten einen Weg finden, zu koexistieren, ohne ihre jeweiligen Kerninteressen verletzt zu sehen – was ich «gemanagter strategischer Wettbewerb» genannt habe –, könnte die Welt aufatmen. Sollten sie scheitern, dann droht am Ende des anderen Pfades die Gefahr eines Krieges, der die Zukunft beider Länder und die der Welt in einer Art und Weise neu schreiben würde, die wir uns kaum vorstellen können.”

Kevin Rudd war von 2007 bis 2010 Australiens Premierminister, dann Außenminister, bevor er 2013 noch einmal als Regierungschef amtierte. Im März 2023 wurde er zum USA-Botschafter seines Landes berufen. 1957 in Nambour (Queensland) geboren, belegte er Kurse in «Chinastudien» an der Australian National University, die er mit Auszeichnung abschloss. Dort lernte er auch Mandarin, das er fließend spricht. 2021 bis 2023 war Rudd Präsident und CEO der Asia Society, deren Forschungsinstitut er seit 2015 leitete.